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Pressespiegel

Als Arlen das Manchester des Hegaus war

Südkurier vom 17.09.2015 von Christel Rossner

Auf die Spuren des ehemaligen Industriedorfs Arlen begaben sich knapp 30 Interessierte mit Kreisarchivar Wolfgang Kramer (links). Auch Bücher und Pläne von einst gaben Einblicke in die Geschichte. Bild: Christel Rossner

Die Arlener stehen zu ihrem Ort. Noch heute halten sie als Ortsteil von Rielasingen-Worblingen an der Bezeichnung „Arlen“ fest. „Ich bin vor 70 Jahren hier im Krankenhaus geboren“, verrät Helga Roth. Lioba Knapp sagt selbstbewusst: „Ich bin Arlenerin und das mit Stolz.“ Beide nahmen am Rundgang mit Kreisarchivar Wolfgang Kramer zu geschichtsträchtigen Gebäuden teil, einer Spurensuche im ehemaligen Industriedorf Arlen.

Schon im 19. Jahrhundert hatte die Gemeinde eine einzigartige Stellung unter den Hegaudörfern. Arlen habe seine große Zeit in der Frühindustrialisierung gehabt, sagte Kramer und bezeichnete es als einen Glücksfall für den Ort, dass der Niederländer Ferdinand ten Brink 1835 dort den geeigneten Standort für eine Baumwollspinnerei fand. Er brauchte das Wasser der Aach und legte zusätzlich einen Kanal an.

Die Baumwollspinnerei war der einzige nennenswerte Industriebetrieb im Hegau, „das Manchester des Hegaus“ fügte Kramer amüsiert hinzu. Schon 1859 erfolgte der Bau eines modernen Zweigwerkes in Volkertshausen, ein weiteres in Arlen. 1890 arbeiteten 1100 Menschen in den drei Werken. „Die sozialen und mäzenatischen Leistungen haben die ten Brinks von anderen Unternehmern unterschieden“, meinte Kramer. Diese Leistungen reichten von der wohl ersten Betriebskrankenkasse in ganz Südwestdeutschland, über Unterstützungsfonds für erwerbsunfähige und altersschwache Arbeiter, Zulagen für kinderreiche Arbeiterfamilien bis hin zu einer Betriebssparkasse, einer Bürgerschule und drei Kindergärten. 1870 erbaute ten Brink das Heinrich-Hospital und das Sanatorium für Lungenkranke, von denen es durch Staubentwicklung im Betrieb viele gab.

Auch die Gemeinde profitierte von den ten Brinks. Früher als anderswo gab es ein Postamt, eine Apotheke und eine Bahnstation. „Arlen war das absolute Vorzeigedorf vor Singen und Gottmadingen, wo Industrie im Entstehen war“, so Kramer. „Keine Gemeinde im Amtsbezirk verfügte über solch gute Voraussetzungen wie Arlen“, betonte Kramer. Die Gemeinde musste keine Soziallasten für Arme tragen, konnte sich recht früh eine Wasserleitung bauen und verfügte schon 1890 über einen Kindergarten und 1909 über Straßenbeleuchtung.

Ende der 20er Jahre griff die Weltwirtschaftskrise auch auf Arlen über, die Fabrik wurde geschlossen und Arbeiter entlassen. Das machte in der Bevölkerung Stimmung für die Nationalsozialisten. Schwer verdauen konnten die Arlener 1936 die Eingemeindung nach Rielasingen. Die Arlener fühlten sich als Opfer des Nazi-Regimes. Nach dem Krieg forderten 36 Arlener die Aufhebung der Eingemeindung, aber 1945 hatte das Land andere Sorgen. „Die einstige Modellgemeinde Arlen war Geschichte und blieb es auch“, so Kramer.

Kramer bedankte sich bei den Co-Referenten unter den knapp 30 Interessierten, die ebenfalls profundes Wissen über die Ortsgeschichte beisteuerten.

Redakteur / Urheber
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Gemeindeverwaltung Rielasingen-Worblingen